Im Neuen Deutschland vom 18. Februar findet sich ein sehr interessantes Interview mit der Sprachwissenschaftlerin Anna-Lena Dießelmann. In ihrer 2015 erschienenen Studie »Ausnahmezustand im Sicherheits- und Krisendiskurs« hat sie untersucht, wie Sicherheitsbehörden und Medien mit den Protesten rund um den G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 umgingen.
Dabei hat sie detailliert jene polizeiliche (Medien)Kampagnenarbeit untersucht, die wir im Artikel Hamburg rüstet auf kurz angerissen haben
Neues Deutschland vom 18.02.2017
Gipfelprotest als Experimentierfeld für Repression
Die Sprachwissenschaftlerin Anna-Lena Dießelmann im Gespräch über die Schaffung von Feindbildern, gezielte Falschmeldungen und die Entpolitisierung durch Medien, Polizei und Regierung
In Ihrer Studie haben Sie untersucht, wie 2007 beim G8-Gipfel in Heiligendamm und im Vorfeld Sicherheitsbehörden, Medien und Politik mit den Protestbewegungen umgingen. Was war das Besondere daran?
Heiligendamm war für die Regierenden ein Krisenlabor, ein Experimentierfeld, auf dem ausgetestet werden konnte, wie weit Repression gegen soziale Proteste in einer Demokratie gehen kann. Und das Ereignis ist vor allem deswegen interessant, weil sich nachweisen lässt, wie die Polizei – oder genauer der polizeiliche Sprachgebrauch – direkten Einfluss auf juristische Urteile nimmt. In meiner Studie konnte ich auch noch belegen, dass durch die Proteste im Rostock und Heiligendamm wegweisende Änderungen von Gesetzen und deren Anwendung durchgesetzt werden konnten. Und das bekommen die Protestierenden jetzt in Hamburg zum G20 zu spüren.
Wie wurde das praktisch von Seiten der Sicherheitsbehörden umgesetzt? Wie ist das mit dem »polizeilichen Sprachgebrauch« zu verstehen?
Zum einen haben die Sicherheitsbehörden bereits im Vorfeld der angekündigten Proteste in Rostock und Heiligendamm die Situation sprachlich eskalieren lassen. Es wurde von »Terroristen«, »Verrückten« und »Chaoten« gesprochen, die Proteste wurden schlichtweg auf das Thema »Gewalt« reduziert, so wurde versucht, die Protestbewegung zu delegitimieren. Gleichzeitig konnten dadurch so drastische – und verfassungswidrige – Maßnahmen wie der Bundeswehreinsatz im Innern gerechtfertigt werden.
Die Logik dahinter ist recht simpel: Je dramatischer die Bedrohung, desto leichter lässt sich die heftige Reaktion der Sicherheitsbehörden begründen. Die Polizeipresse heizte die Stimmung gefährlich an und natürlich haben Anwohner, die Pressevertreter und viele, viele Demonstrierende selbst sich davon einschüchtern lassen und hatten Angst vor diesen Massen an unzurechnungsfähigen, schwarz vermummten Wilden, die ihnen angekündigt wurden. Auf der Ebene der Gewaltentrennung, die ja in der BRD Grundlage des Rechtsstaates ist, gab es etliche Mängel. Aus dem polizeiinternen Material, das ich untersucht habe, geht hervor, dass die Polizei direkten Einfluss auf die Richter ausgeübt hat. Die für den Einsatz gegründete Besondere Aufbauorganisation der Polizei namens Kavala verpflichtete Richter unter anderem dazu, Buttons mit dem Namen »Kavala Justiz« zu tragen. Was klingt wie ein schlechter Scherz, war nachher leider Programm: Es gab etliche Festnahmen und Urteile in Schnellverfahren, lediglich aufgrund von Aussagen von Polizisten.
Aber wie wurde so ein Vorgehen von den staatlichen Stellen begründet?
Die Sicherheitsbehörden stellten ihre Politik der »harten Hand« als notwendige Maßnahme dar, als einzige Möglichkeit, die Sicherheit und Ordnung garantieren zu können. Dasselbe Muster finden wir ja jetzt in der Kommunikation im Vorfeld zum G20 in Hamburg wieder. Besonders interessant war die Selbstdarstellung der Polizei: Die Gewerkschaft der Polizei stellte sich in Heiligendamm selbst als Opfer dar – als Opfer der gewalttätigen Demonstranten, der mangelnden Versorgung, der Unterbesetzung. Die heftige, systematische Repression gegen angebliche Bedrohungen seitens der Demonstranten wird so als verständliche Stressreaktion abgetan.
Es gab immer wieder Falschmeldungen der Behörden und Medien etwa über Gewalttaten, angebliche Säureattacken von Demonstranten. Wozu diente das?
Um den polizeilichen Ausnahmezustand in Heiligendamm als letztes Mittel zu legitimieren. In der Presseabteilung von Kavala wurde bereits Anfang 2006 bei der ersten internen Schulung zum Umgang mit der Öffentlichkeit Material ausgeteilt, das Rückschlüsse auf die Kommunikationsstrategien Kavalas zulässt. Darin heißt es, die »Rolle der Öffentlichkeitsarbeit im Krisenmanagement« solle nicht unterschätzt werden, denn »die Glaubwürdigkeit des Krisenmanagements hängt entscheidend davon ab, wie effektiv die Öffentlichkeitsarbeit funktioniert.«
Falschmeldungen werden angeraten, um die Legitimität des eigenen Handelns zu unterstreichen. Das äußerte sich in so absurden Meldungen wie die angeblichen Säureattacken von Clowns gegen die Polizei – am Ende waren es Seifenblasen. Auch die angebliche Bewaffnung der Demonstranten und der Bau von Bunkern rund um das Tagungshotel konnten später als Falschmeldungen enttarnt werden.
Gab es das nur in Heiligendamm? Über sogenannte Fake-News gibt es ja heute gerade von Seiten bürgerlicher Medien und der Politik große Entrüstung.
Wir müssen zwischen gezielten Falschmeldungen in Pressemeldungen und Interviews seitens der Behörden und falschen Berichten in Medien unterscheiden. Ein Beispiel: Die Meldung der Polizei nach der Massendemonstration in Rostock über hunderte schwer verletzte Polizisten und die Aussage »Wir können froh sein, dass niemand tot ist«, das sind strategisch platzierte Falschmeldungen. Bei vielen Medien genießen Pressemeldungen von offiziellen Stellen einen Vertrauensvorschuss. Die Meldungen werden in den Redaktionen oft nicht überprüft. So machte diese Meldung wie ein Lauffeuer die Runde durch die bundesdeutsche und internationale Presse. Auf Nachforschungen hin wurde bekannt, dass lediglich zwei Polizisten im Krankenhaus behandelt werden mussten, zudem waren viele leichtere Verletzungen durch das eigene Tränengas verursacht worden.
Allerdings funktioniert die Presse nach eigenen Regeln und solche Richtigstellungen werden zumeist im Nachhinein nicht wahrgenommen. Genau das nutzte die Polizeipressestelle von Kavala für sich aus. Diese Falschmeldungen sind allerdings keine »Fehler« der Polizeipressestelle, sondern gezielte Maßnahmen zur Einflussnahme auf die Öffentlichkeit.
Sie schreiben, »der Ausnahmezustand ist kein einzelnes Sonderrecht, sondern eine diskursive Strategie«. Was ist darunter zu verstehen?
Seit der Einführung der Notstandsgesetze in der BRD 1968 wurde der Ausnahmezustand nicht formal als Notstand ausgerufen. Stattdessen werden Notstandsklauseln, also kleine Einheiten des Ausnahmerechts, schleichend durchgesetzt. Das hat zwei Vorteile für die Regierenden: Zum einen entheben sie sich der Kritik, da sie den Ausnahmezustand ja gar nicht rechtfertigen müssen. Zum anderen gewöhnen sich die Menschen an kleine Portionen der Sonderrechte, wie zum Beispiel in Hamburg im Januar 2014, als polizeiliche Sonderzonen eingeführt wurden. Der Ausnahmezustand wird so für den Normalbetrieb handhabbar gemacht. In der repräsentativen Demokratie müssen politische Maßnahmen begründet werden.
Als Wissenschaftlerin interessiert mich die diskursive Strategie zur Begründung der Schritt-für-Schritt-Einführung der Sonderrechte. Diese Schaffung von Ausnahmesituationen ohne jemals formal den Ausnahmezustand ausrufen zu müssen ist subtil, aber alltäglich. Wenn Sicherheitsbehörden von einer »Ausnahmelage« sprechen, ist Vorsicht geboten. Denn gerade wegen seiner Deutungsoffenheit lässt der Begriff vielfältige Bezugsmöglichkeiten zu. Er hat immer eine skandalisierende Wirkung. Es geht mir nicht so sehr darum, einen rechtlich ausgerufenen Sonderzustand zu analysieren, sondern zu zeigen, dass der Sonderzustand gar nicht formal-juristisch ausgerufen werden muss, sondern vor allem durch die massive Dramatisierung schon möglich ist.
Wie wichtig ist für die Herstellung des schleichenden Ausnahmezustandes das Erzeugen von Feindbildern?
In der Darstellung der Polizei und der zuständigen Behörden zerfällt die Opposition in einen »zivilgesellschaftlichen« Teil, also Parteien, Organisationen und in einen Teil mit Störern, Straftätern und Militanten. Diese Widersprüche waren in Heiligendamm deutlich, aber auch in anderen Situationen. Kavala unterschied zwischen friedlichen Demonstranten einerseits, die vor den Gewalttätern andererseits beschützt werden mussten. Denn die friedlichen Demonstranten wollen ihr Recht in Anspruch nehmen, im Rahmen der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten ihre Meinung kundzutun. Kavala schrieb: »Wir erwarten viele friedliche Meinungsäußerungen und werden diese Demonstrationen vor unfriedlichen und gewaltbereiten Kundgebungsteilnehmern schützen.«
Die Gleichsetzung von »friedlich« und »legitim« zeichnet alle Kommunikationen der Behörden aus. Die Schaffung von Feindbildern dient der Kontrastierung von diesen Hochwerten. Diese kontrastierende Logik der Unterscheidung zwischen Freund und Feind ist klassisch für Ausnahmezustände, da zwangsläufig im Moment der Ausnahme die Situation auf die drohende Gefahr reduziert wird.
Wie kann eine Protestbewegung damit umgehen? Wären Strategien denkbar, um das subversiv zu unterlaufen?
Es gab bereits Ansätze, dem zuvorzukommen, zum Beispiel indem der Ausnahmezustand direkt thematisiert wird. In Heiligendamm ist mit der Legitimität gespielt worden, der Slogan der Blockaden lautete »G8 delegitimieren«. Mir als Sprachwissenschaftlerin gefällt das selbstredend, allerdings konnten damit viele nichts anfangen.
Die Schlagzeile des Privatsenders N24 »Wer G20 nach Hamburg holt, holt Gewalt in die Stadt« ist sehr originell, denn da wird der G20 mit der Gewalt assoziiert. Was in diesem Titel nicht beabsichtigt ist, sollte für die Strategie des Protestes ein Leitfaden sein: Es muss deutlich werden, von wem die Gewalt ausgeht. Und dazu kann es dienlich sein, den konkreten Notstand zeitlich und lokal begrenzt zu provozieren, um offen zu legen, wie regiert wird. Die Bewegung muss sich der Entpolitisierung durch Polizei und Regierung widersetzen.
Der Artikel findet sich auf den Seiten des ND