Friedel54 und Polizeistaat – Alle nach Hamburg

gefunden auf Indymedia.

Ein Debattenbeitrag. Wir sollten die Pläne der Bullen zum Einsturz bringen. Es ist wahnsinnig, wie ihnen jedes Mittel recht ist, diesen Gipfel ohne Störung über die Bühne zu bringen. Sie sind offenbar unruhig. Sie mögen unsere Kritik nicht, sie wollen keine Bilder einer verwüsteten Stadt und brennender Barrikaden, fliegender Steine. Es soll kein Signal radikalen Widerspruchs um die Welt gehen. Sie haben verstanden, dass wir uns ihre Bühne nehmen möchten und ihre Paranoia davor zeigt uns, dass es die richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt ist.

Der G20-Gipfel kommt näher und die Regierenden scheinen geradezu stolz darauf zu sein, dass sie  ganze Stadtviertel zu ihren Privatzonen deklarieren können. Sie möchten es uns allen nochmal so richtig schwarz auf weiß zeigen, dass sie die Macht und die Mittel haben, dies durchzusetzen. Kommt es zu oppositioneller Organisierung, die sich außerparlamentarisch und klar herrschaftsablehnend positioniert, gibt es von staatlicher Seite (wir reden hier von einer rot-grünen und einer rot-rot-grünen Koalition) offenbar nur eine Antwort:

Die Polizei übernimmt das Ruder und soll für Ruhe und Ordnung sorgen.

Mit dem Knüppel, der Pfefferspray-Dose, dem Wasserwerfer, dem Rammbock. Mit der Faust. Und einer untertänigen kommerziellen Medienlandschaft, begleitet von pseudokritischem Staatsfunk, deren Redakteur*innen vor allem eine Priorität zu haben scheinen: die guten Kontakte zur Polizei, zu Innenpolitiker*innen etc. nicht riskieren.
Aus Berliner Bullen, die in Hamburg eben nicht nur gefeiert haben, sondern anderen Bullen mit Schlägerei gedroht und damit gezeigt haben, was für ne staatlich bezahlte Schlägertruppe sie sind (und zwar inklusive der Hundertschaftsführer), sind mittlerweile die “Feierpolizisten” geworden. Wir sollten nicht so dumm sein zu denken, dass wegen einiger Bier, Pinkeln und Sex westdeutsche Bullen dafür sorgen, dass ihre Kolleg*innen abfahren müssen. Nein, dort ist anderes geschehen, aber die bürgerliche Presse hat schnell gemerkt, dass das später Ärger geben könnte (Interviewverweigerung usw.) und vor dem G20 nicht staatstragend wäre da jetzt weiterzustochern. Deshalb sind es jetzt nur noch Party-Cops. Klar, das besoffene Fußball-Hool-Geprolle war sicher auch ohne Gewaltandrohung nervig für einzelne andere Bullen. Ohne die Gewaltandrohung wäre es aber höchtswahrscheinlich nicht zu dem Nachhauseschicken der Berliner*innen gekommen, schließlich ist es auch für die Hamburger Einsatzleitung etwas peinlich, so etwas machen zu müssen. Hier war eine Grenze überschritten, übers Saufen, Pissen und den Sex hätte sich reden lassen. Aber der Staat hält sich hier keinen Karnevalsverein, sondern eine Schlägertruppe, die genau dies auch sein soll: Link zu Twitter-Video.
Aber bitte nicht gegen Kolleg*innen.

In einer Einladung zu einer Vollersammlung am Sonntag, 02.07. in die Rote Flora heißt es richtig:

Dass Dinge wie Schlafen, Essen oder Duschen Verboten sind, ist ein existentieller Angriff auf alle und alles.

Bemerkenswert an den aktuellen Zeiten ist, wie rasant sich gesellschaftlich Sag- und Machbares verändern. Noch vor einigen Jahren, gab es innerhalb der deutschen Politiker*innen noch einen beträchtlichen Anteil von Leuten, die “liberale Zivilgesellschaft”, die stolz auf ihren sogenannten Rechtsstaat verwiesen, auf die Gewaltenteilung und das alles. Erinnern wir uns an das Gerede von der Justiz, die die Exekutive kontrolliert? Oder die Unschuldsvermutung? Z.B., dass eine Demonstration nicht verboten werde könne, weil staatliche Stellen meinen, die sich Versammelnden könnte ja dies und jenes tun? Sondern, dass es eben diese verfluchten Grundrechte gab und es dann eben mal in Kauf genommen wurde, dass nicht 100% “Ruhe und Ordnung” herrschten, weil Menschen diese Grundrechte eben nutzen, auch für Dinge, die am Ende ggf. Gesetzen zuwiderlaufen. Rechsstaatlich gesehen war das nie kein Problem: der Staat durfte ja nach Straftaten ermitteln und war da, ausgenommen vielleicht der NSU, selten zimperlich.

Aber einfach präventiv alles verbieten? Da gab es eigentlich immer Widerspruch.

Nicht von der CDU, aber vielleicht mal von den Grünen, die immerhin 15% hinter sich hatten und ne Tageszeitung (Taz). Jedenfalls dafür waren sie manchmal noch gut, den Staat an den eigenen Ansprüchen zu messen. Heute? Schweigen, zaghafte Twittereien einzelner, ansonsten: Koalitionsfrieden. Die Teilhabe an der Herrschaft ist wichtiger als alles andere. Für die “Links”-Partei gilt dasselbe.
Die Taz schreibt in diesen Tagen über das Aussehen der Polizeibeamt*innen und – gähn – darüber, dass der Protest wenig nütze, jedenfalls keine Revolution zu erwarten sei. Dass sich die Gesellschaften global in rasanter Dynamik befinden, meist stark nach rechts in Richtung Autoritarismus, und sich die BRD da im Kontext des G20 auf eine Ebene mit dem real existierenden Versammlungsrecht des durchschnittlichen G20-Staates begibt? Wird nicht gesehen. Stattdessen: Protest bringts ja nichts, weils ja keine Revolution wird. Lieber zusehen, fair gehandelten Kaffee schlürfen, die Taz kaufen und damit das Redakteur*innen-Gehalt sichern und dann aber ab ins Yoga-Studio! Innerer Frieden als der Bringer. Und die Grünen wählen, für mehr Bio-Käse! Damit vertreibt sich also das ehemals bürgerrechtlich engagierte Milieu die Zeit und die Gedanken und deren Entpolitisierung ist Teil des rasanten Wandels, des Rechtsrucks, einer globalen konservativen Revolution mitsamt deren faschistischer Ausläufer.

Die Spinnen, Die Bullen, Die Schweine. Schon immer.

Eine der wichtigsten Lobbygruppen für einen grundrechtsfeindlichen Obrigkeitsstaat ist mittlerweile die Polizei selbst geworden. Sie treiben die Innenpolitik vor sich her, bzw. laufen In der Polizei träumen viele diesen Traum vom “Supergrundrecht auf Ruhe, Ordnung, sogenannte Sicherheit”, das alle anderen überwiegt. Sie sind Sicherheitspersonal und haben sich aus ergebener Liebe zu dieser Sicherheit in den Staatsdienst begeben. Sie haben ihre eigene Mündigkeit aufgeben und widmen ihr leben dem Gehorsam und dem Befehlen. Wer es nicht schafft, in der Hierarchie aufzusteigen, darf immerhin auf der Straße ne Absperrung machen, Leuten Platzverweise erteilen, Rassismus und Ressentiment durch willkürliche Kontrollen ausüben, Menschen abtasten, treten oder boxen, demütgen, mit Axt und Flex ne Tür zerdeppern, Macht ausüben. Sie sind Bullen, nicht mehr, nicht weniger. Und für sie sind alle diese sogenannten  Grundrechte, die ihrem Streben nach “Ruhe, Ordnung, sogenannter Sicherheit” entgegenstehen, störend. Am ersichtlichsten ist das mit dem Recht auf Widerstand. Das gehört zu einer demokratisch-bürgerlichen Staatstheorie dazu. Aber für Bullen ist es lästig und sie haben es erfolfreich bekämpft, sodass es nunmehr das Gegenteil geworden ist: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gilt fortan als ganz besonders schlimm. Der Staat selbst soll von den Menschen unangetastet bleiben, während “die Bürger*innen” sich gefälligt in ihre Handys gucken lassen sollen, Befehle der Cops “ey, hier gehts nicht weiter. Daaa lang!” untertänigst befolgen sollen. Sie sollen sich zwangsräumen, vom Jobcenter schikanieren lassen. Aber aufmucken, Widerstand? Die Bullen wollen – mehrheitlich jedenfalls – Macht ausüben zur Durchsetzung ihres Kontroll-Wahns. Nichts neues. Dass Charaktere, die sich das ausgesucht haben den größten Teil ihrer Lebenszeit in autoritären Strukturen zu verbringen, deren externer Konfliktlösungs-Kompotenz immer mit Gewalt(Androhung) einhergeht, wenig emanzipatorisches Gedankengut hegen, ist nicht von der Hand zu weisen.

Und genauso agieren sie, wenn sie alles verbieten, was ihren Zielen einen Strich durch die Rechnng machen könnte. Das ist nicht rechtsstaatlich, natürlich nicht. Aber was dann? Was ist das, diese widerliche Forderung eines Supegrundrechts auf Sicherheit, das Polizeigewerkschafter*innen fordern und rund um den G20-Gipfel offenbar großer praktizierter Konsens aller Parteien ist? Was also erfolgreich durchgesetzt worden ist? Wo die bürgerlichen Grundrechte (fast) nicht mehr zählen und auch andere rechtsstaatliche Standards außer Kraft gesetzt werden?
Das ist erstmal folgendes: keine bürgerliche Demokratie, denn die definiert sich nunmal aus diesem ganzen Kladeradatsch mit Gewaltenteilung, Grundrechten, etc., und darf sich auch nur so nennen, wenn sie diese Standards auch in “angespannter Gesamtlage” zu garantieren vermag. Es gibt tausend Phrasen wie “Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden” oder “Demokratie muss sich gerade im Umgang mit ihren Feinden beweisen” – Es sind Sätze, die ein bürgerlich-liberales Demokratieverstädnis umschreiben sollen. Und sie sind in aktuell in Hamburg oder bei der Friedel-Räumung in Berlin außer Kraft. Beim Trump-Wahlkampf war die deutsche Medienlandschaft noch ganz aufgeregt, als es um Fake-News ging. Nun scheinen sie den Begriff vergessen zu haben, wenn die Berliner Polizei die Lüge twittert, es habe einen Mordversuch via Stromschlag am Türknauf gegeben. Stattdessen ist alles ungewiss und ungeklärt. Wie gesagt: Da will sich niemand ernsthaft die guten Kontakte in den Herrschaftsapparat verderben.

Ok. Also keine bürgerliche Demokratie, abseits der Bundestagswahlen.

Wollten wir ja sowieso nicht, wir radikalen Linken, also halb so schlimm. War ja eh größtenteils ein nervendes Spektakel und in Maßen gehörte der Ausnahmezustand ja immer schon dazu. Trotzdem: dahinter zurück? Wollten wir das?
Vielleicht müssen wir das erstmal verdauen. Diese sogenannten Grundrechte sind von linksradikaler Seite zurecht dafür kritisiert worden, von bürgerlicher Seite genutzt worden zu sein, die strukturelle Gewalt der Gesellschaft zu verschleiern. Eine Top-Down-Gesellschaft, die nur Oben und Unten und die Konkurrenz ums gute Leben kennt, sind Rassismus, Sexismus und Ausbeutung keine Betriebsunfälle, sondern Grundpfeiler dieser Ordnung, da ändern Grundrechte wenig dran. Haben wir immer betont. Wie lassen sich nationalstaatliche Grenzen tödlich absichern, ohne rassistisch zu sein? Wie lassen sich Menschen als Arbeitnehmer der Bundeswehr dafür gewinnen, auf andere zu schießen: sicher nicht dadurch, dass ihnen erzählt wird, das Leben der anderen sei genauso viel Wert wie das eigene oder der eigenen Schwestern/Brüder (bildlich gesprochen). Grundrechte in einem kapitalistischen Nationalstaat waren immer auch eine Farce.
Wir wissen, dass die Grundrechte etwas sind, dass der Legitimierung dieser widerlichen Welt diente. Der deutsche Staat ist da ohnehin speziell mit dessen real-existierender Gewaltenteilung. Es ist nämlich kein Straftatbestand, wenn ein Einsatzleiter oder ein Innenminister unsere Grundrechte verletzt. Sie dürfen das ruhig tun. Die Gerichte können zwar feststellen, dass das dann nicht rechtens war und meinen, dadurch hätten sie ihre Rechtsstaatlichkeit unter Dach und Fach. Aber die individuellen Rechtsbrecher*innen, erfahren keine Sanktion. Keine Strafe, keine Haft, sie müssen nichts befürchten. Höchstens etwas dienstrechtliches, doch die Verantwortlichen haben ausgesorgt, bei den hohen Besoldungsstufen, auf denen sich z.B. G20-Einsatzleiter*innen befinden. Aber statt Sanktionen kommt gern auch das Gegenteil, eine Prämie z.B. durch erneute Ernennung zum Einsatzleiter bei einer Großlage. Denn bei vielen Einsätzen soll es ja exakt so sein, dass unsere sogenannten Grundrechte verletzt werden. Warum also nicht wen nehmen, die*der sich bewährt hat? Wie Herrn Dudde, dessen illegale Einsätze als Teil staatlicher Auftandsbekämpung eben dazugehören, weshalb er wieder ausgewählt wurde. Oder letztes Jahr die Amtshilfe der Berliner Polizei in der Rigaer Straße. Nicht legal, aber der Bullenpräsident sitzt fest im Sattel und schickt seine feiernden Schlägertrupps zur Räumung in die Friedel54. Die einzige Strafe, die droht, ist eine institutionelle, d.h., der Staat muss vielleicht mal ne Entschädigung für nen illegalen Kessel zahlen. So wird es auch in Hamburg passieren. Damit kauft sich der Staat aus seiner Menschenrechtsverletzung raus, zeigt aber gleichzeitig den Verantwortlichen: macht es ruhig wieder, euch droht nichts!

Grote durchsuchen und entführen. Am Ende ne Entschädigung aus der Solikasse. Why not?

Das ist schon interessant, dass die Justiz und die staatstreuen Rechtsgelehrten sich dennoch so ernst und wichtig nehmen mit ihrer ach-so-heroischen Rolle im Rechtsstaat. Stellen wir uns doch mal vor, wir würden ganz offensichtlich, sagen wir mal, das Grundrecht auf Unverletztheit der Wohnung von Andy Grote übergehen. Dort mal reinspazieren, alles durchwühlen. Und ihn vielleicht seiner Freiheit entziehen, wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer “terroristischen Vereinigung, die unsere Grundrechte mit Gewalt abschafft.”
Am Ende würde jedoch rauskommen, dass das alles nur ein Missverständnis war und Grote nur schlechte Berater*inen hatte und zu der Zeit zu viel feierte und einfach nicht bei der Sache war. Nun hätten wir als kleine autonome Zelle, die das durchgezogen hat, aber keine Kosequenz zu befürchten. Das einzige, das passieren würde, wäre, dass die Flora sich öffentlich entschuldigt und unsere autonome Gruppe ne Soliparty organisieren muss, damit die 465,99 Euro für die Reparatur der Türen des Herrn Grote vom Flora-Konto überwiesen werden können. Und damit wäre das geklärt.  Doof für Andy, weil wir ihn auch geboxt haben, aber er wollt ja nicht freiwillig mitkommen (so sagten es die Bullen auf der Friedel-Räumung: wer in der Blockade bleibe, müsse eben mit Schmerzen rechnen).
So, nur andersherum, sieht es mit staatlichen Repräsentant*innen aus, die die von ihnen selbst erschaffenen Grundrechte anderen nicht gewähren. Ihnen geschieht nichts relevantes, maximal zahlt der Staat eine Entschädigung. Deshalb tun sie, was sie für richtig halten. Grundrechte hin oder her.

Das als ein Ausschnitt zu den Grundrechten. Schlimm, dass sich Autonome mit so bürgerlichen Diskursen beschäftigen müssen. Scheinen allerdings, zusätzlich zu anderen direkt betroffenen (Geflüchtete, etc) die einzigen zu sein, die das wahrnehmen, dass die gerade handstreicharteig beseitigt werden.
Bedenkenswert ist ja nicht, dass es gesellschaftliche Kräfte wie die Polizei gibt, die eine andere Gesellschaftsvorstellung als eine liberale Demokratie möchten. Es ist aber verstörend dass die Auslöschung letzterer gar keine Verteidiger*innen von gesellschaftlicher Relevanz mehr hat, außer ein paar außerpalamtarischer Linker Aktivist*innen.

Wir möchten ganz sicher nicht die Rolle der ehemals Grünen übernehmen und das Grundgesetz verteidigen.

Dennoch: nur, weil die bürgerliche Gesellschaft die Grundrechte so funktional im Sinne der Herrschaftslegitimierung einzusetzen vermag, heißt das nicht, dass sie nicht auch Gedanken enthalten, die erkämpfenswert waren und sind. Versammlungsrecht ist ein global umkämpftes Gut. Wenn es abgeschafft wird, und sei es nur temporär, müssen wir widerständig aktiv werden. Wie das Freedom of Movement als “Everybody’s Right”.

Nun ist es also passiert, der Staat macht einen große Schritt nach rechts. Schöner für emanzipatorisch orientierte Menschen ist es sicher nicht, wenn Polizeistaatlichkeit zunimmt. Aber es ist passiert und der Prozess geht weiter, dynamisch und wir reagieren zu langsam, desorientiert. Wie nennen wir das? Postdemokratisch? Faschistisch? Auf welcher Skala sind wir wo? Haben die Leute, die 2013 den Gezi-Park besetzt hatten und offensive Riesen-Demos mit Hundertausenden auf die Beine stellten, sich vorstellen können, wo die Türkei heute stehen würde? Dass gesellschaftliche Verhältnisse sich nicht zu emanzipatorischen Gunsten verschieben würden, sondern in die Gegenrichtung. Hätten sie etwas anders gemacht oder machen sollen?

Und was ist mit unserer Phantasie? Wenn wir heute, 2017 kein Camp als politische Versammlung durchsetzen können, wie ist es dann um die Kräfteverhältnisse bestellt? Jedenfalls nicht besser als für die Leute, die vor 4 Jahren Jahren in Gezi kämpften. Dort hatte sich der Staat zeitweilig zurückgezogen, das Gelände wurde teils durch Bagger gesichert. Die Deeskalation war temporär. Aber würden deutsche Bullen 2017 sowas machen? Temporärer Rückzug für ein paar Tage? Gäbe es, würden wir kämpfen wie die Menschen damals in Gezi, auch hier Tote? Wie war das noch mit Genua 2001? Und was ist unsere Schlussfolgerung? Dürfen wir die Türkei von vor 4 Jahren mit der BRD heute vergleichen oder glauben wir daran, dass das hier schon nicht so weit kommen werde, ausgerechnet in Deutschland? Wo sind wir in vier Jahren? Oder: Wo in 10 Jahren? Wohin geht die Reise und wohin wollen wir eigentlich mit der Anti-G20-Mobilisierung?

Und, wenn wir uns solche Fragen beantworten. Was tun wir dann? Nicht zum G20 fahren? Uns abschrecken lassen? Frustriert von der gefühlten Ohnmacht das individuelle Familiennglück suchen: Job, Pärchen, Familienglück? Schäfchen ins Trockene bringen, wenn es geht. Oder damit glücklich sein, das in so einem Exportweltmeisterland immer noch genügend Essen zum Containern übrig bleibt, um es sich gutgehen zu lassen, auch in zehn Jahren. Anders als in der Türkei. Und eben diese globale Ungleichheit, von der nur die mit den richtigen Pässen profitieren (können), ignorieren?
Wir sind Teil von einer Gesellschaft, deren Spielregeln sich verändern und zwar entgegen unserer Ideen. Hier ist nichts mehr statisch oder bleiern, wie die Taz behauptet, wenn dort steht Proteste würden nichts bringen. Wir sind in multiplen Krisen, das müssen wir hier nicht wiederkäuen und das politische Denken und Fühlen der Menschen verändert sich innerhalb weniger Wochen. Die Leute gewöhnen sich an jeden Scheiß, an Trump, Erdogan, Kriege, Tote im Mittelmeer.

Und in der BRD wird ein Politgipfel in bestem autokratischen Stil über die Bühne gebracht.

In Zeiten, in denen es keine starke außerparlamentarische Opposition mit breiter gesellschaftlicher Basis gibt. Das, was die gerade mit G20, aber auch der Friedel54-Räumung abziehen, ist ein Vorgeschmack auf die Vorstellung, dass in diesem Deutschland z.B. 6 Millionen Leute arbeitslos wären, die Mieten noch höher und das Hartz nochmal weiter gekürzt wäre, und sich dann größere Teile entschließn würden sich alltags- und massenmilitant zu organisieren. Es würde nicht mehr passieren, dass Berliner Bullen nordrein-westfälischen aus Langeweile eine Schlägerei androhen. Denn sie hätten regelmäßig Zeckenklatschen-Einsätze. Gäbe es wehrhafte Stadtguerilla, die den Staat herausfordert? Sie würden die Gefangenen foltern. Mindestens das. Die 70er und 80er haben die Richtung angezeigt. Das Personal in der deutschen Politik und der “demokratischen Institutionen” wäre um keine Deut “menschlicher” als der türkische Staat, wenn eine revolutionäre Bewegung wie die PKK auf größeren Teilen des deutschen Staatsgebiets agieren würde. Sie drehen ja schon bei Vermummung, Pürotechnik und Low-Tech-Sachbeschädigung ab.

Es sieht mittelfristig natürlich nicht nach einer größeren Organisierung mit inhaltlich-radikaler Grundlage aus. Stattdessen ist die Gesellschaft in absurde Parallelwelten unterteilt. Billigfliegen, Party, laue Sommernächte, Abschiebung, Beten, Knast, Punkkonzert, Uni, Drogen, Gangsterrap, Beziehungsstress, Start-ups, Psychatrie, Info-Veranstaltung, Theater, Kunst, Zwangsräumung, Sport, Liebe. Passiert alles jeden Tag, nebeneinander her, wie ein gut geöltes Räderwerk.

Sowas wie die Friedel-Räumung bzw. die Gegen-Mobi stört das Bild dieser ach so gut geschmierten Maschine. Mit ihren Feierpolizist*innen. Da ist nichts mehr geölt, wenn die Bullen ab 4 Uhr bis 20 Uhr einen ganzen Straßenzug absperren. Da knirscht es, da ist Sand im Getriebe. Da scheint was durch: dass diese Gesellschaft stinkt, in der der Profit von Eigentümer*innen über allem steht. Die kapitalistische Stadt hat sich ihre Blöße gegeben. Dass die Leute nicht alle gleich sind, dass diese beschissene Würde natürlich antastbar ist und dauernd angetastet wird. Dass einer der wichtigsten Sätze dieser Verfassung eben der ist: “Die BRD ist eine (….) Marktwirtschaft”. Kapitalismus. Alles andere, ob das Grundrecht auf Asyl, auf Versammlungsfreiheit, auf “informationelle Selbstbestimmung”. All das wird ausgesetzt. Nicht aber der kapitalistische Wohnungsmarkt.

Was heißt das, wenn wir das beobachten? Wenn wir sehen, wie ein Bundesverfassungsgericht ein Grundrecht bekräfitgt, die Bullen das ignorieren und außer uns, den wenigen Linksradikalen in Deutschland, niemand ein Problem damit zu haben scheint? Was heißt das, wenn Amnesty-Polizei twittert, so etwas hätten sie noch nicht erlebt? Aber Die Presse schreibt über die Party-Polizei und, dass die Saudiarabische Delegation ihre Kamele mit nach Hamburg bringen werde.

Es kann heißen, dass wir bedeutungslos und schwach sind. Wenn wir uns so zeigen, was wir aber nicht müssen oder, wenn wir uns von ihrer Inszenierung beeindrucken lassen. Noch sind viele von uns in Hamburg und dann gibt das Bilder von Ohnmächtigkeit, wenn der Polizeistaat schon mit allem vor Ort ist. Das wird sich in den nächsten Tagen ändern. Wir kennen es vom Castor und vielen anderen Protesten. Zudem bestehen unsere Stärke und Überzeugungskraft niemals allein aus unserer Anzahl oder militanten Schlagkraft (beides aber auch nicht unwichtig;). Es zeigen, historisch und aktuell, häufig Menschen, dass sie, in enormer Bedrängnis, trotzdem erfolgreich kämpfen können. Wir erinnern an die wenigen, die sich existenziell der Räumung der Gerhard-Hauptmann-Schule widersetzten und damit eine ganze Stadt in Atem hielten.

Wir sollten aus dem Ausnahmezustand lernen. Allein dafür lohnt es nach Hamburg zu fahren. 

Und wir sollten uns fest vornehmen, nach diesem Gipfel die Debatte weiterzuführen. Nicht vergessen, wer uns das eingebracht hat. Analysieren, was das für unsere längerfristigen Strategien zu bedeuten hat, wenn der Polizeistaat ganz ohne Widerspruch von einer Rot-Grünen Landesregierung installiert wird. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass dies deutlich  mehr als ein Gipfelprotest ist, sondern Widerstand gegen eine innenpolitische Eskalation, die wir länger nicht mehr erlebt haben. Selbst in Bayern zum G7 gab es ein Camp. Küfas im Kontext von Versammlungen sind Standard. Was bedeutet es, wenn wir das ernst nehmen, dass der Staat hier einen Angriff gegen uns alle und alles fährt? Was sind die Konsequenzen, abseits von hoffentlich noch mehr Wut in Hamburg?

Wir müssen die Pläne der Bullen zum Einsturz bringen, sie an der Eskalation scheitern lassen. Es ist wahnsinnig, wie ihnen jedes Mittel recht ist, diesen Gipfel ohne Störung über die Bühne zu bringen. Sie sind offenbar unruhig. Sie mögen unsere Kritik nicht, sie wollen keine Bilder einer verwüsteten Stadt und brennender Barrikaden, fliegender Steine. Es soll kein Signal radikalen Widerspruchs um die Welt gehen. Sie haben verstanden, dass wir uns ihre Bühne nehmen möchten und ihre Paranoia davor zeigt uns, dass es die richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt ist.

Wir haben vieles, was uns selbsbewusst machen sollte. Unsere Feindschaft gegen Herrschaft und unsere ehrliche Ablehnng der Scheiße, die in dieser Welt der G20 alltäglich passiert. Wir müssen unsere Dissidenz zu ihrer Welt in kreative, unberechenbare Entschlossenheit umwandeln. Wir sollten nach Hamburg fahren, um dort zu zeigen, dass eine andere Welt nicht nur nötig, sondern auch möglich ist. Lasst und mit stolz auf unsere Solidarität, unser nicht Abgestumpft-Sein, unseren Humor, unser gegenseitiges Verständnis für unsere Grenzen und individuellen Prioritäten und unsere Wut, Hoffnung und Entschlossenheit, diesen Gipfel zum Desaster zu machen, nach Hamburg fahren. Lieber heute als morgen. Darum wird es gehen. Nicht nur wie viele wir sind, sondern mit welcher Haltung wir uns in Hamburg die Straßen nehmen. Wir sollten mit dem Ziel nach Hamburg fahren, authentisch die Überzeugung auszustrahlen, dass diese Welt der G20 abgeschafft gehört und ein emanzipatorisches Miteinander in unserem Widerstand und unseren Alltags-Strukturen entstehen muss. Ob der Gipfel stattfindet oder nicht. Denn es geht danach weiter.

Alle nach Hamburg!

einige berliner autonome

 

Nachbereitung: 12.7., 19:30 Mehringhof, Versammlungsraum, Berlin